In der Frankfurter Rundschau fragte kürzlich Stephan Hebel, der regelmäßig eine Autoren-Doppelseite in der Zeitung hat, seine Leserschaft, ob man den Begriff „Verzicht“ im Zusammenhang mit der Klimakrise verwenden oder eher vermeiden solle. Das ging mir nicht aus dem Kopf, da ich mich gerne mit Reizworten beschäftige.
Bis vor einiger Zeit war das Wort „Verzicht“ für mich vor allem mit Freiwilligkeit verbunden. Manche verzichteten von sich aus auf Fleisch, auf Früchte aus fernen Ländern, auf Alkohol, auf überbordenden Medienkonsum. Die freiwillig Verzicht übten, galten und gelten als besonders willensstark, diszipliniert, konsequent. In der seit 1983 stattfindenden Fastenaktion „7 Wochen ohne“ der Evangelischen Kirche geht es (zwischen Aschermittwoch und Ostern) ums Fasten in sehr erweitertem Sinne. War anfangs tatsächlich der Verzicht auf bestimmte Lebens- und Genussmittel gemeint, später auch die Nutzung von Medien, versteht sich die Aktion heute so, dass in dieser Zeit etwas freigelegt, in Bewegung gebracht und unter Umständen neu geordnet wird. Beispielsweise war vor einigen Jahren das Motto: 7 Wochen ohne üble Nachrede. Dieses Jahr lautete es: 7 Wochen ohne Verzagtheit. Es geht also längst nicht nur um Verzicht, sondern auch um Haltung, um das Sichdurchringen zu etwas Besserem. Inzwischen gibt es neben „7 Wochen ohne“ als Ergänzung der Selbständig Evangelisch-Lutherischen Kirche die ausdrücklich ökumenisch ausgerichtete Aktion „7 Wochen mit“. Drei Millionen Menschen machen inzwischen mit bei „7 Wochen ohne“, und etwa 11 Millionen verzichten in der angestammten Fastenzeit freiwillig auf etwas, auch unabhängig von der Aktion und der Kirche.
Man möchte sagen: Geht doch! Es geht aber ganz offensichtlich nur – genau, freiwillig. Und zwar 100 Prozent freiwillig. An den Aufschrei vor zehn Jahren nach dem Vorschlag, einen Tag pro Woche zum Veggie-Day zu machen - wohlgemerkt, es war ein Vorschlag, kein Gesetz oder keine Verordnung - , sanken die Grünen in der Wählergunst gewaltig, obwohl es jeder Kommune und Institution freigestellt war, ihn umzusetzen oder nicht. Dass der Chef des Wurstproduzenten Rügenwälder Mühle sich für den Veggie-Day einsetzte, nützte ebenfalls nichts. Heute gibt es, wie ich lese, in vielen Staaten den „Meatless Monday“, manchmal ist es auch der Donnerstag. Andernorts hat man also anscheinend einfach gemacht statt zu propagieren, vielleicht ein lohnenswerter Ansatz auch für Deutschland.
Auf etwas verzichten sollen oder gar müssen ist dagegen kaum angesagt. Rückschritt geht gar nicht, den Gürtel enger schnallen ist so was von out. Gut, im letzten Winter wurde fein austariert, wie mit einer Mischung aus Appellen und monetärem Anreiz Gas und Heizöl einzusparen war. Hat sogar funktioniert, aber die Drohung einer echten Knappheit an Heizstoffen schon in diesem Frühjahr plus die Bedrohung durch einen manifesten Krieg in 900 Kilometern Entfernung taten eben hier ihre Wirkung. Ansonsten? Nö, eher nicht. Die Reisebuchungen nehmen wieder zu, Pfand- und Plastikflaschen ins Geschäft zurückzubringen ist doch so mühsam, ein paar Klamotten zur Auswahl bei Amazon zu bestellen und vier Fünftel wieder zurückschicken hingegen so einfach.
Manche dachten, nach Corona würde etwas bleiben, könnte ein etwas verlangsamter Lebensrhythmus gerettet werden. Doch man verzichtet schnell wieder aufs Verzichten, es versandet, gerät aus dem Blick. Andere haben auch wieder hochgeschaltet, man will nicht zurückstehen. Und diejenigen, die verzichten, fühlen sich zwar als moralische Sieger, reiben sich aber auf und zweifeln teils am Sinn ihres Handelns angesichts von Partymüllbergen, Sonderangeboten und bewusst attackierten Pipelines im Meer. Ich soll auf so vieles verzichten, während andere gewissenlos in der Welt herumjetten, dabei intensiv konsumieren und überall ihren Müll fallenlassen? Wie lange halte ich das durch?
Wahrscheinlich hat selektiver Verzicht als Haltung und ja, auch als Lifestyle-Trend noch die größte Chance auf Realisierung. Nicht gänzlich auf Flugreisen verzichten, aber doch auf die drei, die ich in diesem Jahr auch noch machen könnte. Den Veggie-Day als gemeinsames Koch-Event mit Freunden auch bei Ü-50-Jährigen einführen. Statt immer nur neue mehr gebrauchte Kleidung bei Oxfam oder upgecycelte bei alternativen Designern kaufen – und sie länger tragen als bisher. Alles nur Nischen-Trends? Es gab schon viele Nischen, die Zeit brauchten, um eine breite Bresche zu hinterlassen, aber, siehe Biofood, dies kann gelingen. Wenn wir die Nischen, die Verzicht nun einmal ergibt, mit anderem vielfältig füllen, upcyceln sozusagen, dann kann statt Verzicht Fülle entstehen. Fülle und Vielfalt, die oft vor Ort entsteht, ohne oder mit nur wenig Materialeinsatz, sogar ohne viel Geld. 52 Wochen ohne, aber mit? Könnten Spaß machen.