„Deine Augen machen bling bling, und alles ist vergessen.“ Natürlich geht mir der Song von Seeed durch den Kopf, während ich hier schreibe, aber eigentlich habe ich mir den Titel nur geliehen. Denn Partnersuche ist nicht meine Prämisse, Anmache erst recht nicht. Es geht mir um Blickkontakte, kurze Momente, in denen ein Augenpaar ein anderes trifft.
Fast täglich gehe ich eine Allee entlang und durch eine Fußgängerzone. Menschen, die mich kennen, grüßen freundlich, ich sie auch. Aber was ist mit den vielen
anderen, die ich nicht kenne? Ich wünsche mir, dass sie mich als eine Variante des Menschseins wahrnehmen, was jedoch oft nicht der Fall zu sein scheint. Hat sich irgendetwas verändert? Ich - die
anderen - die Welt?
Vielleicht sollte ich bei mir selbst anfangen. Wen schaue ich an und wen nicht? Wie selektiere ich? Welchen Blicken weiche ich selbst aus? Letzteres ist durchaus der Fall, zum Beispiel bei dem Mann, der viel draußen unterwegs ist, alle anspricht, ob sie nicht eine Zigarette für ihn hätten, der sehr gerne, ein bisschen zu gerne für meinen Geschmack, ins Gespräch kommt. Nur wenn ich gut drauf bin, schaue ich ihn an und wechsle ein paar Sätze mit ihm. Das liegt an der Zeit und dem Gespräch, das er mir abverlangt – und wahrscheinlich auch an der Fremdheit, die ich ihm gegenüber empfinde.
Natürlich selektiere auch ich nach Sympathie, Aussehen, Interessantheit und dem schnell geschätzten Grad zwischen Freundlichkeit und Aggressivität einer Person oder einer Gruppe. Auch nach Alter? Womöglich. Ältere Menschen suchen öfter Blickkontakt zu mir als jüngere. Mache ich das genauso? Interessiere ich mich im Vorbeigehen auch mehr für eine junge Mutter mit Kindern oder eine Gruppe von Jugendlichen als für ein betagtes Ehepaar? Hm, eigentlich nicht, denke ich.
Was ich objektiv wahrnehme ist, dass die Mehrzahl einfach viel zu beschäftigt ist, um sich mit ihrer direkten Umgebung zu beschäftigen. Viele, gefühlt mehr als 60 Prozent, sprechen ohnehin mit einer Person, die gerade nicht anwesend ist – wie soll man da Aufmerksamkeit haben für andere? Ich habe eine Weile gebraucht, bis ich gelernt hatte, dass jemand, der oder die vor sich hinspricht, nicht verwirrt oder in tiefstem Selbstgespräch versunken ist, sondern einfach nur mit Kopfhörer telefoniert. Meine innerer Widerstand dagegen war sinnlos, inzwischen telefoniere ich selbst manchmal auf dem Weg von A nach B, allerdings nie mit Kopfhörer. Doch ich werde das Gefühl nicht los, dass es nicht gut ist, manchmal sogar gefährlich, seine direkte Umgebung nicht wahrzunehmen. Ich habe schon etliche Fast-Unfälle erlebt. Und was ist mit Babys und Kindern, deren Eltern sie beim Spaziergang kaum beachten, nicht auf ihre Regungen reagieren, keinen Blickkontakt halten?
Zurück zur Blickhygiene unter Erwachsenen. Selbst unter Bekannten gibt es Situationen, wo jemand bewusst ignoriert wird. Meist, weil die Konzentration woanders gebraucht wird oder man gerade schon in einem Gespräch absorbiert ist. Doch könnte nicht trotzdem kurz der Blick gehoben und damit ausgedrückt werden: Ich kenne dich und habe dich gesehen!? Die Angst vor Blickkontakt, das Bedürfnis nach Nur-nicht-zuviel ist eigentlich bedauerlich in einer Gesellschaft, die doch mehrheitlich offen, divers und zugewandt sein möchte. Das funktioniert aber nur, wenn andere sich in meinem Blick auf sie wiederfinden und aufgehoben fühlen und umgekehrt. Siehe oben, am besten, ich fange mal bei mir an.